Tag 11 auf dem Camino del Norte. Meine Strecke in Spanien führt mich von Isla Playa nach Treto. Insgesamt gehe ich 33,4 Kilometer in knapp über zehn Stunden. Ich lege rund 578 Meter Aufstieg und rund 589 Meter Abstieg zurück. Lies hier, wie ich ständig in Supermärkte renne, Surfer entlang eines wunderschönen Küstenwanderwegs bei Noja beobachte und die mit Abstand gefährlichste Strecke entlang einer Landstraße überlebe … Infos zu meinen Reisen findest Du hier, auf Instagram und auf Youtube. Auf Twitter und über Telegram wirst Du zudem über neue Beiträge informiert. Hier geht’s zur Übersicht der einzelnen Tage. Weitere Fotos vom Jakobsweg findest Du auch in der Fotoparade zum ersten Reisehalbjahr 2018.
Um 8 Uhr stehe ich auf und mache mich fertig, war die Nacht über nur einmal kurz wegen der Kälte wach. Gegen 9 verlasse ich das Hotel und bin semi-gut gelaunt. Der Hotelmitarbeiter hat mich informiert, dass ich – anders, als ich es mir von dem Kartenmaterial abgeleitet hatte – nicht am Strand entlang gehen kann, sondern einen Umweg von fünf Kilometern gehen muss. Ich habe meine Schuhe morgens komplett neu geschnürt und bin damit soweit zufrieden.
Mir ist kühler als gestern, die Luftfeuchtigkeit ist hoch. In der Nacht hatte es geregnet und alles ist nass. Riesige dunkle Wolken schmücken den Himmel. Da ich dachte, dass es wärmer sei, habe ich nur meine Loch-Leggings an, denn im Grunde ist es mir auch egal – selbst wenn sich das, zugegeben kleine, Loch am Arsch nicht vom Rucksack verdecken lässt.
Neben der Landstraße ist eine Art kleiner Naturpark, in dem Jogger unterwegs sind. Wenn gerade kein LKW oder Auto vorbei rast, hört man wunderschöne Natur: Stille und jede Menge Vögel. Ich stehe eine Weile und beobachte die Tiere am Wasser.
Ich habe noch drei Bananen, zwei Proteinriegel, ein paar Kekse und trotz Supermarkt habe ich sonst wieder kein Essen mehr. Ich verlaufe mich und gehe dann doch durch Noja direkt durch, statt an der Küste entlang. In Noja suche ich dann doch einen Supermarkt auf und kaufe mir für vier Euro eine Handcreme, da meine Hände aufgrund der Kälte doch inzwischen ziemlich kaputt sind.
In einem zweiten Supermarkt kaufe ich mir dann doch noch spontan eine viel zu teure Bio-Erdbeermilch, wieder ein Liter. Diesmal verschütte ich sie nicht. Es wird langsam warm und das Wetter empfinde ich zum Laufen aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit als sehr unangenehm.
Am Meer angekommen entscheide ich mich für die Ruta de la Costa, einen roten Wanderweg entlang der Küste. Alles erinnert mich an Sylt, genauer Morsum Kliff. Wäre das Wetter gut, wäre es sehr viel schöner. Die Leggings macht meinen Weg übrigens noch abenteuerlicher, denn überall sind Dornen.
In der Ferne sehe ich jede Menge Surfer, die sich vermutlich über die seltenen geeigneten Wellen freuen und sonst ewig lang rumliegen. Ich stelle mir vor, wie ich in etwa 253 Jahren mein „Best of Camino del Norte“-Video geschnitten und veröffentlicht haben werde …
Auf einem Stein stelle ich meinen Rucksack ab und mache Pause mit Blick auf das Meer, die Klippen und die Surfer. Ich trinke meine Erdbeermilch und esse meine zwei Mini-Schokocroissants, die ich eben noch kaufte. Ein großer Hund besucht mich und gafft mich an, wird dann aber von seiner Besitzerin zurück gerufen.
Ich erinnere mich an das Gespräch, das ich mit meiner tollen Begleitung vor ein paar Tagen führte, die mir erklärt, dass man in Spanien im Gegensatz zu Deutschland mit einem Macho-Männerbild erzogen wird und wenn bspw. eine Feier ist, es die Frauen seien, die am Ende abräumen, aufräumen und das Geschirr machen. Ich habe sie angestarrt und gesagt, dass ich fest davon überzeugt bin, dass dieses Bild auch dem Deutschen entspricht, es allerdings sein kann, dass in Deutschland niemand darüber redet, dass von der Frau z. B. erwartet wird, dass sie dem Mann abends sein Essen bereitstellt, wenn sie zu Hause ist und er arbeitet.
Irgendwann finde ich eine Ruine am Strand und klettere darauf herum. Tolle Ausblicke habe ich von dort. Ich stürze nicht in die Tiefe, sondern gehe weiter. Nun begegnen mir auch wieder mehr Menschen. Auf einer Bank lasse ich mich schließlich nieder und beobachte das Meer.
Mir wird hier nochmal bewusst, wie sehr ich den Klang der Wellen nicht mag. Niemals würde ich mir so einen Sound einstellen, wenn ich Hintergrundgeräusche hören wollen würde. Meer finde ich wirklich sehr unangenehm. Ich würde immer nur eine Kombi aus 90% Kaminfeuer, 40% Regen, der weich auf Planzen tropft und 10% Gewitter einstellen – habe ich aber schon lange nicht mehr. Alle anderen Geräusche machen mich wahnsinnig.
Etwas später kommt die Sonne durch, wenn auch nur wenig. Ich laufe am Strand entlang und die Sonne blendet mich über den nassen Sand und von oben. Ich nutze meine neu erworbene Handcreme mit UV-Schutz für mein Gesicht.
Während ich ewig lang am Strand gehe, führe ich ein berufliches Telefonat. Ich lasse mich gedanklich darüber aus, dass Menschen ein Vermögen in ein bescheuertes Smartphone mit Vertrag stecken und dann nicht mal fähig sind, kostenlos Telefonate innerhalb Europas zu führen. Aber Hauptsache, sie sehen unter ihresgleichen cool aus, weil sie einen angefressenen Apfel mit sich herum tragen. Unfassbar!
Nach dem Telefonat lande ich an einem Zufluss der ins Meer führt und der unpassierbar für mich aussieht. Selbst mit den besten Schuhen der Welt traue ich mich nicht durch, denn wenn auch nur etwas Sand wegrutscht, versinke ich im Wasser und sobald die Schuhe innen nass sind, breche ich alles ab.
Ich rufe einem Mann in der Ferne zu, dass ich auf die andere Seite muss und er zeigt mir, welchen Weg ich gehen muss. Immerhin ist der Umweg nicht allzu groß. Danach gehe ich wieder einige Weile Landstraße bis zum nächsten Dorf. Mein Rucksack ist viel zu schwer, weil ich die ganze Kleidung darin habe, weil es zu warm ist.
Im Dorf beobachte ich wie in einem Hühnerstall ein kleines braunes Huhn herumläuft, das etwa halb so groß ist, wie alle anderen. Ein anderes Huhn pickt plötzlich mit seinem Schnabel so lange auf das Kleine ein, bis es umfällt. Daraufhin stellt sich ein anderes Huhn auf das kleine, zwei weitere hacken auf es ein. Irgendwann liegt das kleine Hühnchen ganz flach am Boden und vier Hühner hacken wie irre auf es ein. Furchtbar.
Die Sonne scheint bald richtig. Müsste ich nicht das ganze Gepäck schleppen, würde mich das glücklich machen. Ich suche bald einen riesigen Supermarkt auf und kaufe einen Salat, den ich gleich am Meer essen will. Mir begegnen Kühe, die mich gelangweilt und sehr nah anstarren. Es ist viel zu spät und ich bin noch lange nicht weit genug. Dennoch pausiere ich – nicht am nassen Strand, sondern auf einer Bank an der Straße – und esse meinen Salat, ziehe sogar die Schuhe aus.
Gegen 16:30 Uhr lande ich in Santoña, wo es so sehr nach Fisch stinkt, dass ich denke, in einem Fisch gelandet zu sein. Mir ist schlecht, ich halte es kaum aus. Es stinkt erbärmlich, es ist der absolute Horror. Schon wieder suche ich einen Supermarkt auf und kaufe mir einen Orangensaft. Es stinkt. Alles stinkt. Das Dorf ist eigentlich recht schön, es erinnert mich abstrakt an Pescara. Überall stehen Orangenbäume. Auf dem Weg aus dem Dorf heraus sehe ich „Der alte Mann und das Meer“, also einen alten Mann auf seinem Boot.
Ich hatte eigentlich geplant noch den Berg zu besteigen, schaffe das zeitmäßig jedoch nicht mehr. Ich setze diesen Ort jedoch auch nicht auf die Liste der Orte, an die ich zwingend nochmal wiederkehren müsste, also passt das alles schon. Um 17 Uhr habe ich einen Tiefpunkt und habe noch rund neun Kilometer vor mir. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ich die noch schaffen soll. Mir tut alles weh. Ich weiß, dass ich eine unfassbar lange Brücke passieren muss, sehe jedoch erst vor Ort, dass es sich um eine Landstraße ohne Seitenstreifen handelt, um die herum es nur direkt ins Wasser geht. Es ist super gefährlich und ich bin so schnell, wie sonst fast nie – weil es einfach so gefährlich ist und ich so schnell es geht von dieser Brücke will. Ein Mann hupt mich von der Gegenseite an und ich frage mich, was er sich denkt: dass ich jetzt zu den Enten ins Wasser springe? Ich renne einige Abschnitte, um noch schneller zu sein.
Insgesamt von 17:25 Uhr bis etwa 18:15 Uhr bin ich auf dieser unsäglichen Brücken-Landstraße und gefühlt war ich noch nie so schnell: 4,5 Kilometer habe ich in dieser Zeit geschafft. Ich bin tot und plane einen Zug zu nehmen. Als ich den Bahnhof sehe, sehe ich auch, dass ich einen großen Umweg gehen müsste, um den Abfahrtsplan zu sehen. Ich gehe diese Extrameile nicht!
Um 19 Uhr bin ich im Hotel. Endlich! Es ist ein Ein-Sterne-Hotel, das mir tausendmal besser gefällt, als das Vier-Sterne-Hotel vom Vortag.Ich bin fix und fertig und finde, dass ich wie ein Zombie aussehe. Insgesamt bin ich nun über 305 Kilometer gegangen und fühle mich, als würde ich bald auseinanderbrechen. Ich brauche eine Thai-Massage. Ich bin zu müde, meinen Rucksack zu öffnen, um meine Badsachen zum Duschen zu finden. Irgendwann finde ich doch noch die Kraft.
Mir ist super heiß, obwohl es nicht heiß ist. Mein Gesicht leuchtet rot, entweder von der Sonne oder vom ständigen Wind, der mir heute ins Gesicht gepeitscht ist. Ich plane am nächsten Mittag einen Bus zu nehmen, bin mir aber noch nicht sicher. Ich bin so fertig wie an keinem Tag zuvor. Trotzdem sehe ich mir noch bis nach 23 Uhr Bilder auf der Kamera an und staune, was für tolle Aufnahmen dabei sind. Ich nutze nochmal den Wärmebalsam für Beine und Schultern und schlafe endlich um 23:30 Uhr.
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