Tag 12 auf dem Camino del Norte. Meine Strecke in Spanien führt mich von Treto nach Castro Urdiales. Insgesamt gehe ich 40,4 Kilometer in knapp über elf Stunden. Ich lege rund 1.100 Meter Aufstieg und rund 1.300 Meter Abstieg zurück. Lies hier, wie ich hochmotiviert Dauerlauf mache, in einer Sackgasse mental randaliere und im wunderschönen Castro Urdiales nicht direkt schlafen gehe … Infos zu meinen Reisen findest Du hier, auf Instagram und auf Youtube. Auf Twitter und über Telegram wirst Du zudem über neue Beiträge informiert. Hier geht’s zur Übersicht der einzelnen Tage. Weitere Fotos vom Jakobsweg findest Du auch in der Fotoparade zum ersten Reisehalbjahr 2018.
Um 6:30 werde ich wach – ohne Wecker. Der klingelt erst um 7. Ich kann mich nicht aufraffen und liege um 8 Uhr immer noch im Bett. Der Himmel ist blau und eigentlich spricht alles für Aufstehen. Erst um 8:40 Uhr quäle ich mich zum Frühstück, das fast nur aus süßen Lebensmitteln besteht und mich so gar nicht anspricht. Das Wetter kann ich nicht wirklich einschätzen und weiß somit nicht, welche Kleidung ich wählen soll. Es regnet kurz.
Um 9:10 Uhr gehe ich los. Es hängen dunkle Wolken am Himmel, zumindest rechts. Links sieht es besser aus. Die Temperatur ist angenehm. Die Brücke, die ich zu Beginn passiere, ist wesentlich angenehmer, als die schlimme von gestern. Ich habe nur die wasserabweisende Hose an und somit beide Leggings im Rucksack.
Überall entlang der Straße stehen Orangenbäume. Gegen 9:30 Uhr bin ich hochmotiviert doch die gesamte Strecke zu gehen, statt auf einen Bus auszuweichen. Abwarten … Ich erinnere mich an den Camino Portugues und wie tot ich dort nach acht Tagen war – insbesondere im Vergleich zu meiner jetzigen Tour.
Kurz vor Laredo sehe ich erstmals entlang meiner Strecke einen Lidl und einen Aldi. Ich nutze die Gelegenheit und fülle meine Essensvorräte auf. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich morgen bereits am Ziel sein soll. Wahnsinn! Der große Supermarkt neben Lidl hat bis 22 Uhr geöffnet und ist damit das erste Geschäft, das mir hier begegnet, das so lange geöffnet hat. Ich kaufe einen Salat mit Pasta und Rucola, einen Smoothie mit Hibiskus und gehe weiter.
Erstmals wird mir bewusst, dass ich ausschließlich mit geflochtenen Haaren wandere. Jeden Morgen flechte ich mir einen Zopf und gehe dann erst los. Ich habe den Eindruck, dass sich so weniger Schmutz in meinen Haaren sammelt … Gegen 10:30 Uhr erreiche ich den Strand – zeitgleich mit dem Regen. Meine Hose ist zwar wasserabweisend, wird aber dennoch kühl und ich bereue ein wenig, die Thermoleggings nicht angezogen zu haben. In der Ferne ist die Sonne zu sehen.
Obwohl ich es nicht will, gehe ich doch den Umweg über den Berg, da ich mich in einer wahnsinnig hügeligen Altstadt dorthin verlaufe. Auf dem Berg spreche ich mit einem älteren Mann, der Spanisch, Portugiesisch, Französisch und Arabisch spricht. Auch wenn wir somit keinerlei sprachliche Übereinstimmung haben, können wir uns irgendwie verständigen. Er rät mir, dringend noch bis ganz nach oben zu gehen und den Ausblick zu genießen. Ich folge seinem Rat und es lohnt sich – wäre sicher absolut atemberaubend, wenn das Wetter besser wäre.
Auf nasser Straße sind meine Schuhe wirklich schlecht und ständig rutsche ich weg. Ich sehe schon, wie ich mir noch die Beine am letzten Tag breche. Die Regenschauer sind verrückt und irgendwann stelle ich mich unter, weil es regnet, während ich sehe, dass es etwa zwei Meter neben mir nicht mehr regnet. Ich trinke derweil meinen Hibiskus-Smoothie und bin begeistert. Beste Entscheidung!
Es ist unfassbar steil, ich rutsche ständig weg und das Wetter klart auf. Der Himmel ist blau mit wenigen weißen Wolken, in der Ferne sehe ich Segelboote. Es ist traumhaft schön. Ich folge meinem Kartenmaterial und wie ich es bereits ahnte, ist der eingezeichnete Weg irgendwann einfach gesperrt. Aufgrund der Hunde traue ich mich nicht, ihn weiterzugehen und muss einen riesigen Umweg in Kauf nehmen. Ich randaliere mental und beginne um kurz vor 12 mit dem Umweg.
Unterwegs helfe ich zwei Pferden an das Gras zu kommen, das sie jenseits der Absperrung nicht gut erreichen können. Der Umweg führt mich zurück und somit auch wieder in den Regen. Als ich wieder in die richtige Richtung statt zurück gehen kann, wird das Wetter wieder besser. Ich entscheide mich zunächst gegen einen Umweg über die Küste, verwerfe diese Entscheidung glücklicherweise aber wieder, da ich die richtige Abzweigung nicht finde.
Gegen 12:40 Uhr bietet sich mir ein Fernblick, der atemberaubend ist. Ich stehe und staune. Stehe und staune. Stehe und staune. Zehn Minuten später befinde ich mich an einem Jakobsweg-Rastplatz auf einer Klippe. Der Wind ist wirklich sehr kalt, aber dennoch esse ich hier meinen Salat. Ich bin mehr als froh, diesen Ort für mich alleine zu haben und nicht mit 30 anderen Pilgern teilen zu müssen, wie es im Sommer sicher der Fall ist.
Ich sitze und esse und bin froh, hier zu sein. Etwa 35 Minuten mache ich Pause und genieße diese Erfahrung, diesen Ausblick. Das hier ist einer der schönsten Orte meiner Tour. Wahnsinn. Definitiv ein Ort zum Wiederkommen. Ich fühle mich wie in Nimmerland. Der Ort ist so schön, dass ich ihn in meiner Fotoparade später zum schönsten Foto des ersten Reisehalbjahres 2018 küre.
Ich verstehe an diesem Ort zum ersten Mal, wieso ich das Meer so mag, obwohl ich es eigentlich nicht mag. Ich liebe einfach die blaue Farbe, ich liebe, dass es blau ist, selbst wenn der Himmel es nicht ist. Ich liebe Fernblicke mit Meer im Hintergrund. Es ist wundervoll. Ich bin extrem froh, hier zu sein.
Um 13:30 Uhr stelle ich überrascht fest, dass ich noch rund 25 Kilometer vor mir habe. Weiterhin plane ich den Bus zu nehmen. Ich gehe stetig bergab, was meinen Knien gar nicht gut tut. Zudem ist es in den Schuhen unfassbar heiß und steinig. Irgendwann finde ich die Muße und entferne die Steinsammlung …
Gegen 14 Uhr entscheide ich mich gegen den Bus und gehe hochmotiviert weiter. Andernfalls müsste ich über eine Stunde auf den Bus warten, was ich absolut nicht will. Ich stelle mir vor, vor 18:00 Uhr anzukommen. Das Schild, das 57 Kilometer bis Bilbao anzeigt, fasziniert mich. Gerade noch war ich am Anfang und schon so kurz vor dem Ziel.
Nach kurzer Zeit befinde ich mich in einem extremen Regenschauer, bei dem ich mich entlang der Landstraße nicht unterstellen kann. Das Wasser fließt an meinem Regenschutz entlang hinab und durchnässt binnen weniger Minuten meine Hose. Der blaue Himmel in Laufrichtung lässt mich hoffen, dass meine Kleidung schnell wieder trocknet.
Ab kurz vor 15 Uhr ist mir Gehen nicht mehr genug und ich mache Dauerlauf entlang der Landstraße. Meine Motivation hat einen Hochpunkt erreicht und ich fühle mich sportlich, wie am ersten Tag. Kurz darauf scheint die Sonne und wärmt mich – das ist gut, da ich bereits bereute, die Thermoleggings nicht angezogen zu haben. Der Wind ist definitiv zu kühl. Ich bin super gut gelaunt und freue mich, abends die Extra-Meile für meinen Hibiskus-Smoothie zu gehen.
Gegen 16:30 Uhr befinde ich mich am Meer. Ich stehe und staune. Alles ist so schön. Viel zu oft stehe ich und denke, dass ich doch nicht um 18 Uhr am Hotel ankomme. Ich verschiebe meine geplante Ankunftszeit gedanklich auf 18:30 Uhr. Rechts schmerzt mein Knöchel ein wenig und ich werde langsamer. Auftreten schmerzt auch. Bereits vor 17 Uhr stelle ich fest, dass ich kein Essen mehr besitze.
In Cerdigo mache ich kurz Pause auf einem Bordstein und ziehe die Schuhe aus. Ich wechsle meine Sohlen von Memory Foam zu den normalen Sohlen. Auch die Socken wechsle ich und erneuere die Verbände. Als ich aufstehe, bin ich die ersten fünf Minuten sehr glücklich, dann kehrt der Schmerz zurück. Meine Müdigkeit erreicht ein Maximum und als ich das Smartphone in die Seitentasche des Rucksacks stecken will, greife ich einfach daneben und sehe, wie es über den Boden fliegt.
Um 18:40 Uhr bin ich endlich in meinem Hotelzimmer angekommen, in dem ein Schild darauf aufmerksam macht, dass Essen dort verboten ist … Überall in der Stadt sind Menschen und mir ist alles zu laut. Ich gehe direkt los und sehe mir die Stadt an, gehe auch zum Hafen. Danach gehe ich zum Supermarkt, um meinen Hibiskus-Drink zu kaufen. Ich habe das Gefühl, ich müsste meinen letzten richtigen Abend genießen und beschließe nicht um 20 Uhr ins Bett zu gehen, sondern noch draußen zu sein.
Die kleine Stadt begeistert mich und ich schlängle mich durch die Menschenmassen. Trinke meinen Hibiskus-Drink und einen Liter Mandarinensaft, in den ich mich sofort verliebe. Essen habe ich ebenfalls gekauft und meine Müdigkeit ist überwunden.
Um 20:30 Uhr bin ich wieder auf dem Hotelzimmer und die Müdigkeit holt mich ein. Ich dusche so kurz es geht in Eiswasser, föhne mich warm, nutze anschließend die Wärmesalbe, um mich von der Dusche zu erholen und höre einem Nachbarn beim Brüllen zu. Ich habe Schmerzen vom vielen Bergablaufen und bin froh zu liegen. Ich räume noch auf, checke die Finanzen, sehe mir Fotos an und schlafe endlich um Mitternacht.
Dieser Beitrag ist Teil meines Reiseberichts zu meiner Jakobsweg-Wanderung entlang des Camino del Norte im Februar 2018 mit der Laufstrecke Ribadeo – Gijón – Santander – Bilbao.
Weitere Berichte zu meiner Wanderung auf dem spanischen Camino del Norte:
Tag 0: Flug ins verschneite und heizungslose Spanien
Tag 1: Unerwartetes Trampen, Belästigung und fantastische Küste
Tag 2: Hagel, das Tal des Grauens und atemberaubende Meerblicke
Tag 3: Rote Knöchel, Bündel und Wälder auf einer der schönsten Etappen
Tag 4: Atemnot, Tierfreundschaften und das wunderschöne Cudillero
Tag 5: Ausbruch aus dem Hotel, Schmerzen und eine kleine Weltreise
Tag 7: Regen, Sonne und Irland-Feeling in Begleitung
Tag 8: Regen, Regen und Alpakas auf dem Weg nach Viveda
Tag 9: Wälder, Dünen und Ankunft in Santander
Tag 10: Kuh-Tetris, Sandwanderung und Ärger im Hotel
Tag 11: Der anstrengendste Tag mit der gefährlichsten Strecke
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