Tag 9 auf dem Camino del Norte. Meine Strecke in Spanien führt mich von Viveda nach Santander. Insgesamt gehe ich 27,3 Kilometer in knapp 9,5 Stunden. Ich lege rund 783 Meter Aufstieg und rund 756 Meter Abstieg zurück. Lies hier, wie ich durch wundervolle Wald- und Dünenlandschaften laufe und schließlich im schönen Santander lande … Infos zu meinen Reisen findest Du hier, auf Instagram und auf Youtube. Auf Twitter und über Telegram wirst Du zudem über neue Beiträge informiert. Hier geht’s zur Übersicht der einzelnen Tage. Weitere Fotos vom Jakobsweg findest Du auch in der Fotoparade zum ersten Reisehalbjahr 2018.
Die Nacht war Horror. Um 6 Uhr wache ich erfroren auf, denn die Heizungen sind aus. Meine Thermoleggings ist triefend nass. Super! Ich suche die dritte Decke und schlafe schlecht weiter. Um 8:30 Uhr versuche ich mich aus dem Bett zu quälen. Heute geht es nach Santander! Darauf freue ich mich ein wenig. Erst um 9:15 Uhr gehe ich mit leicht feuchter Thermohose los und habe 15 Minuten, bis mein Zug fährt. Ich verlasse Viveda und bin in Barreda. Dort fährt der Zug.
Mein Rucksack ist wahnsinnig schwer, weil ich so viel Obst gekauft habe. Ich habe das Gefühl, meine Schuhe seien innen nass. Ich hatte sie nachts noch im Waschbecken gewaschen. Ich bin mir nicht sicher. Ich bin begeistert, wie gut die gestern gekaufte Maske sich sowohl auf meinen Knöchel als auch auf mein Gesicht ausgewirkt hat und beschließe fortan Fan dieser Maske zu sein.
Das Wetter kann ich absolut nicht einschätzen. Es könnte fast alles zwischen Sommer und Weltuntergang sein. Am Bahnhof finde ich nichts zum Ticket ziehen. Also frage ich an einem Büro, wo ich ein Ticket ziehen kann. Der Mann sagt „No tickets“. Ich verdrehe die Augen und gehe. Dann halt „no ticket“. Ich warte und mir ist kalt.
Die Zugfahrt dauert nicht lange und spontan steige ich früher aus, als geplant, nämlich um 9:55 Uhr. Ein Ticket hatte ich wirklich nie. Ich finde Jakobsweg-Schilder. Mein Ziel ist der Dünenpark am Meer. Ich checke nochmal die Karte und stelle überrascht fest, dass die Haltestelle, die ich gestern rausgesucht hatte, falsch gewesen wäre und ich jetzt richtig ausgestiegen bin.
Das Wetter macht nun einen guten Eindruck, ich erfreue mich an vielen Zitronenbäumen, pilgere den Berg hinauf und bin gut gelaunt. Vor mir ist eine Wiese mit Kühen, davor ist ein recht brauner Fluss, dahinter ist ein knallgrüner Golfplatz mit Bäumen, erst flach, dann hügelig, dahinter ist ein riesiger Hügel, die schneebedeckte Gebirgskette in der Ferne dahinter und rechts davon riesige Klippen mit einzelnen Felsen und das Meer mit einer verhaltenen Brandung. Ich bin begeistert. Wahnsinn!
Meine Thermoleggings ist bei zehn Grad die absolut falsche Wahl, mein Knöchel macht gerade keine Probleme. Ich freue mich. Ich laufe in einen Wald hinein. Obwohl ich Wald nicht so toll finde, ist dieser hier irgendwie besonders. Riesig. Nicht auf Bildern festzuhalten. Ich bin beeindruckt. Und verstehe nicht, wieso so viele Autos an mir vorbei fahren. Ganz kurz regnet es sehr wenig, aber nicht störend. Es ist warm. Wäre der Himmel richtig blau, wäre alles unglaublich schön. So ist es immer noch nett.
Nach 11 Uhr bin ich am Meer. Es ist wundervoll. Ein riesiger Parkplatz, an dem ich mir vorstelle im Auto zu schlafen. Im Wohnwagen darf man hier übrigens nicht schlafen und ich sehe mich in meiner Aussage bestätigt, dass man immer besser im Auto schläft, weil man damit überall schlafen kann. Hinter mir ist der Wald. Vor mir das Meer. Links von mir der Strand und die Dünen, in der Ferne die Berge. Es ist fantastisch. Ich gehe durch den atemberaubenden Dünenpark, der mich an die Niederlande erinnert, und am Strand zurück.
Es gibt eine Bar, in der ich das Bad nutzen kann. Ich traue mich nicht, meine Thermoleggings auszuziehen, da ich vermute, dass mir dann doch irgendwann zu kalt sein wird. Anschließend gehe ich weiter am Strand bzw. an den Klippen entlang. Es ist wunderschön. So wunderschön, dass ich 2,5 Stunden für zwei Kilometer brauche.
Es gibt schon wieder das Irland-Feeling wie an Tag 7. Ich stehe und staune. Ewig sehe ich keinen Menschen und habe nach all den Tagen voller Ruhe ein wenig Respekt vor der Ankunft in Santander. So wirklich Lust auf Stadt habe ich gar nicht, sondern genieße absolut die Natur.
Ich gehe und gehe und bin viel zu langsam für mein heutiges Ziel. Es ist mir egal. Es ist traumhaft. Gegen 16 Uhr erreiche ich den Stadtrand von Santander bzw. ein Gebiet, in dem echte, große Geschäfte sind. Namen, die man kennt. Ich suche ein Bad auf und schaue mir Handschuhe in einem großen Sportgeschäft an. Entscheide mich dagegen. Dann kaufe ich mir einen gekühlten Chai Latte, den ich so noch nie gesehen habe und eine Erdbeermilch, auf die ich seit Tagen Lust habe – wieso auch immer.
Ich brauche rund zehn Minuten, bis mir beim Tragen einfach so die Flasche aus der Hand rutscht, der Deckel auf dem Boden – in Zeitlupe sicher spektakulär – weg springt und mir die Erdbeermilch nicht nur gegen die Hose spritzt, sondern sich auch wunderschön auf dem Boden ausbreitet. Ich hebe die Flasche auf und rette etwa ein Drittel. Ich bin traurig – darf ich auch, immerhin ist der Weine-nicht-um-die-vergossene-Milch-Tag bereits vorbei. Ich hatte mich wirklich sehr auf Erdbeermilch gefreut und extra eine Literflasche gekauft. Ich gehe weiter.
Eine Anzeige an einer Apotheke zeigt, dass es 20 Grad sind. Verrückt. Als ich die Flüge gebucht habe, sollte es laut Vorhersage fast jeden Tag so warm sein. Das Hotel erreiche ich sehr müde und muss im richtigen Haus erst mal bei der Physiotherapie-Praxis fragen, wo das Hotel ist – die Zahl der Stockwerke passt anscheinend nicht zu den zugehörigen Treppenabschnitten …
Als ich es finde, versuche ich die Tür zu öffnen, was mir nicht gelingt. Ich klopfe, aber die Frau reagiert nicht. Ich klopfe wieder. Sie zeigt, ich solle rein kommen. Ich kriege die Tür nicht auf. Weder ziehen noch drücken funktioniert. Die Frau verdreht die Augen und steht auf: es ist eine Schiebetür. Aha.
Ich checke ein, stelle nur kurz meine Sachen ab und gehe sofort um kurz nach 18 Uhr in die Stadt. Santander. Hier wollte ich sowieso schon immer mal hin, hatte aber nie die Muße, extra hinzufliegen. Ich habe eigentlich keine Zeit, mir noch die Stadt anzusehen, aber ich will. Ich bin in Leggings unterwegs. Es ist wunderschön. Schöner, als ich dachte und sicher eine Reise wert.
Bis 19:30 Uhr bin ich unterwegs, muss dann aber dringend duschen und schlafen. Der Übersetzer sagt der Frau im Hotel, dass ich am nächsten Tag bereits um 6 Uhr gehe. Alle Akkus sind leer und ich überlege, wie ich alles in einer Nacht laden kann. Dann gehe ich duschen. Heiß. Viel zu spät, nämlich erst um 22 Uhr, schlafe ich endlich.
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