Schon eine Weile hatte ich einige Tassen herumliegen, die mir einst viel bedeuteten, die ich dann aber gerne gegen eine Wand schmettern wollte. Für solch irrationale Ausbrüche bin ich aber einfach nicht der Typ, also suchte ich lange nach einer Möglichkeit, bei der die Tassen am Ende kaputt sind, das Ganze aber doch gesellschaftlich akzeptiert vonstatten geht. Zwei Lösungen fielen mir ein: Polterabende und ein Raum, den man zum Zertrümmern buchen kann. Zu Polterabenden würde ich nie gehen und bezahlen, um Möbel mit einer Axt zu zerstören, ist auch nicht mein Ding. Nachdem ich oft und mit vielen Menschen darüber sprach, wurde mir schließlich die Leuchtenburg bei Jena empfohlen. Dort könne man auf dem Steg der Wünsche Geschirr zertrümmern und habe dabei einen Wunsch frei. Klang für mich perfekt, also klärte ich telefonisch, ob ich eigenes Geschirr mitbringen könne und so ging es mit einer Tasche voll Tassen nach Thüringen, wo schließlich das Unglaubliche geschah …
Ich sehe mir die Karte an. Wo soll das sein? Ich frage nochmal nach. Leuchtenburg, Steg der Wünsche. Ich suche danach. Dorfstraße 100, 07768 Seitenroda. Nähe Kahle. Ich glaube sogar, da bin ich schon mal vorbei gefahren. Ich war jedenfalls schon sehr oft in Jena und staune, dass die Antwort immer so nah lag.
Nachmittags erreiche ich bei traumhaftem Wetter den kostenpflichtigen Parkplatz unterhalb der Leuchtenburg. Unterhalb des Kreisverkehrs befindet sich zudem ein kostenfreier Parkplatz. Wer mobilitätseingeschränkt ist, kann hoch fahren und direkt vor dem Burgtor halten, denn die Leuchtenburg ist die erste barrierefreie Höhenburg Deutschlands.
Vom kostenpflichtigen Parkplatz ist es eine kleine Wanderung den Berg hinauf zur Burg. Als ich das kleine Schild erreiche, auf dem „nur noch 40 Meter“ steht, sieht man bereits das Besucherzentrum, in dem man Tickets für die Burg wie auch Souvenirs erwerben und im Café einen herrlichen Ausblick bei Kaffee und Kuchen genießen kann. Männliche Besucher dürfen sich im Bad zudem an einem ganz besonderen Ausblick erfreuen …
Durch das Tor gelangt man zur Porzellanwelten-Ausstellung und zum Restaurant. Die gesamte Anlage sieht wunderschön aus, der Ausblick ist fantastisch. In der Ferne ist Jena-Lobeda mit den vielen Plattenbauten zu sehen. Leider habe ich nicht allzu viel Zeit, also führt mich mein Weg direkt zum Steg der Wünsche. Dieser Skywalk ragt in etwa 20 Meter über den Berghang der Burg hinaus. Erreicht man das Ende, blickt man von einer Glasplatte aus nach unten auf eine weiße Grube, die aus Tellertrümmern besteht. Das Geschirr ist hier nämlich im Eintrittspreis enthalten.
Ich bestaune zunächst den Fernblick und übe dann mit den weniger bedeutsamen Tassen. Vor allem bei der ersten Tasse, durchzieht ein Schmerz meinen Körper, als ich sie loslasse und fallen sehe. Es fühlt sich fast an, als fiele man mit. Auch meine Begleitung macht diese Erfahrung bei den ersten Würfen. Verrückt, wie ich finde, aber nicht abzustreiten. Es fühlt sich seltsam an und man erlebt den freien Fall irgendwie selbst mit. Ich sehe, wie eine nach der anderen zerschmettert. Insbesondere, als ich einmal den Steinboden am Rande der Grube treffe, zerspringt sie in tausende Stücke.
Nachdem ich eine große, bunte Tasse mit voller Wucht gen Boden schleuderte, nutze ich sogar den 30-fach optischen Zoom meiner Kamera, denn ich kann nicht fassen, was ich sehe: die Tasse steht vollkommen unbeschadet inmitten der weißen Trümmer! „Man müsste runter und sie wieder mitnehmen, sie scheint echt gut zu sein“, ist alles was mir nach einem Moment der Sprachlosigkeit dazu einfällt. Im weiteren Verlauf werfe ich noch eine Tasse, an der ebenfalls nur der Henkel abspringt und die sonst nahezu unversehrt den Sturz überlebt. Unglaublich …
Nachdem ich alle Tassen losgeworden bin, gehe ich zum Archiv der Wünsche. Hier finden sich einige der Wünsche an den Wänden, welche die Besucher auf ihre Teller schrieben. Sie sind witzig, unrealistisch, bodenständig, machen nachdenklich oder traurig. „Julia“ empfinde ich als traurigsten aller Wünsche. Wer sich nicht gerade eine bestimmte Frau wünscht, träumt etwa von „Tee mit Melonengeschmack“, „Gerechtigkeit“, „mehr Zivilcourage“, „in den 50ern zu leben“, „guten Noten“ und natürlich dem „Weltfrieden“. Andere denken an „eine Nacht mit Beckham“, eine „vegetarische Welt“, „einen Goldesel“, „eine fliegende Badewanne“, „keine Hausaufgaben“, „eine Giraffe im Garten“, „Liebe überall“, „die Wiedervereinigung von Korea“ und „Nudelsalat für alle“. Jemand wünscht sich „abzunehmen“; „in Amerika zu leben“, „groß zu sein“, und „dass Mama gesund wird“. Ganz andere sehnen sich nach „einem Kuss“, „Ruhe“, „Schönheit“, „Zeit“ und „Sex“.
Es ist berührend, in so vielen Wünschen zu stöbern und zu sehen, was die Menschen bewegt. Spannend wäre zu wissen, ob die realistischen dieser Wünsche tatsächlich inzwischen in Erfüllung gegangen sind. Das Prinzip des Stegs der Wünsche ist jedenfalls: Teller nehmen, unter Schwarzlicht in einer kleinen Kabine – dem Skriptorium – ungestört beschriften, den Steg der Wünsche beschreiten, ganz feste wünschen, was auf dem Teller steht und ihn am Boden zerschellen lassen – denn Scherben bringen Glück.
Mir gefällt es auf der Leuchtenburg unglaublich gut und ich werde definitiv nochmal wiederkommen, um mir in Ruhe die gesamte Ausstellung anzusehen, da diesmal nur für einen Teil davon Zeit blieb. Der Steg der Wünsche, der übrigens 2016 auch Drehort des Weimarer Tartort-Krimis „Der scheidende Schupo“ war, ist eine wundervolle Installation, die allen Besuchern während meines Aufenthalts viel Freude bereitet hat. Wem die Ausstellung oder das Tellerwerfen nicht genug sind, der kann übrigens auch an einer der Tatort-Führungen teilnehmen, die regelmäßig stattfinden.
Wenn auch Du einen Ausflug nach Thüringen planst und die Leuchtenburg bzw. den Steg der Wünsche besuchen möchtest, findest Du alle notwendigen Infos auf der offiziellen Webseite. Ich danke der Leuchtenburg für die Einladung und dieses wundervolle Erlebnis! Ein Dank geht ebenfalls nach Berlin für diesen perfekten Tipp!
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