Erfahrungsbericht: Wie Disneys Musical Aladdin in Hamburg meine Liebe zum Film zerstört hat

Ende November feierte Disneys Musical „Aladdin“ Europapremiere in Hamburg. In Vorfreude auf einen charismatischen Aladdin-Darsteller und seinen Affen Abu, eine der ersten Disney-Prinzessinnen, die „gar keine Prinzessin sein“ möchte und immer Hosen trägt mit ihrem Tiger sowie natürlich die gesamte Story in live, statt als Zeichentrick, fuhr ich in die Hansestadt. Ich habe schon zwei andere Disney-Musicals, zwei Disney-Kurzmusicals in Walt Disney World und generell viele andere Musicals gesehen, hatte mich auf diesen Abend aber noch viel mehr gefreut, da ich Aladdin schon immer sehr liebte. Was mich dann auf der Bühne des Theaters Neue Flora in Hamburg Altona erwartete, war allerdings leider mehr als nur eine bittere Enttäuschung für einen echten Fan des Films …

Disneys Aladdin in Hamburg im Theater "Neue Flora".

Disneys Aladdin in Hamburg im Theater „Neue Flora“.

Ganz unten wie immer das Fazit für Gestresste, ansonsten folgt nun eine ausführliche Bewertung des Musicals. Beim Betreten des Theaters bin ich bereits irritiert. Alles ist schwarz, abgesehen von einem rot-gelben Vorhang, der an „König der Löwen“ erinnert. Bin ich hier richtig? Soll sich dahinter die fiktive Stadt Agrabah im Nahen Osten verbergen? Normalerweise bin ich es selbst von Musicals on Tour gewöhnt, dass die Theatergestaltung oder zumindest der Bühnenbereich imposant wirken. Hier ist trotz der Festinstallation alles langweilig. Aber egal, Hauptsache das Musical macht sich verdient! Immerhin sind die Karten für die Vorpremiere auch wesentlich teurer, als die regulären Eintrittskarten für normale Vorstellungen ab Dezember 2015. Das Musical beginnt und ein seltsam komödiantisch wirkender Mann führt in die Geschichte ein. Soll das der Dschinni sein? Ich hoffe nicht! Alle Charaktere landen auf der Bühne und es wird erklärt, wer sie sind. Die ersten Minuten … und ich rutsche bereits unruhig auf meinem Platz hin und her. Das Musical beginnt dann richtig auf dem sehr bunten Markt von Agrabah. Ich werfe meiner Begleitung, die ebenfalls den Film in- und auswendig kennt, einen fragenden und halb verzweifelten Blick zu, der glücklicherweise erwidert wird. Es geht also nicht nur mir so! Geht es nur uns so? Ich studiere die Gesichter um mich herum und in der Ferne. Alle sehen zumindest nicht unbegeistert aus.

Was gezeigt wird, hat ein wenig was von Bollywood. Tatsächlich kann ich mich dafür nicht begeistern, auch wenn das Filmkonzept tatsächlich nicht nur auf der arabischen, sondern auch auf der indischen Kultur basiert und das somit nicht allzu weit hergeholt ist. Mir fehlen aber vor allem die Dialoge, die ich aus dem Film kenne. Ich hatte die Befürchtung, dass einiges sprachlich abgewandelt sein würde, aber ich erkenne über das gesamte Stück hinweg in den Sprechrollen kaum Originalzitate – und ja, ich kenne den Film gut genug, um das zu beurteilen. Unverändert war beispielsweise die kurze Sequenz der Szene zwischen Aladdin und Jasmin: „Vertraust Du mir? … Vertraust Du mir?“ Abgewandelt wurde hingegen unter anderem – und vollkommen unverständlich, wie ich finde – die überdrehte Frage des Dschinni: „Was ist Dein Begehr?“ statt „Was darf’s sein?“. Die Lieder wurden ebenfalls abgewandelt und hier wurden teils auch einzelne Wörter sinnfrei ersetzt. Andere Lieder kamen neu hinzu, unter anderem eins, in dem Aladdin sich an seine gerade verstorbene Mutter wendet. Die Figur der Mutter wurde für die Disney-Filmvorlage ursprünglich geschrieben, schließlich aber nicht verwendet.

Das Theater "Neue Flora" von innen: der Aladdin-Vorhang erinnert mehr an "König der Löwen".

Das Theater „Neue Flora“ von innen: der Aladdin-Vorhang erinnert mehr an „König der Löwen“.

Dasselbe gilt für Aladdins drei „Kumpels“, mit denen er in einer WG wohnt. Auch diese wurden für die Filmvorlage zwar geschrieben, im Endeffekt aber durch Aladdins frechen Begleiter Abu ersetzt. Auf diesen kleinen Affen gibt es im Musical zwar Anspielungen, diese empfand ich aber als sehr nervig, da Abu einfach fehlte und außerdem zur Entfremdung von Aladdins Filmcharakter beitrug. Im Film kann Abu sich nicht bremsen und berührt in der Wunderhöhle einen großen Diamanten. Im Musical hingegen fasst Aladdin selbst begierig etwas „außer der Lampe“ an. Dazu kommt, dass er Jasmin beim Kennenlernen auf dem Markt unfassbar billig anmacht und keineswegs den charmanten und liebenswerten Charakter darstellt, den man im Film so sehr mag. Dort wandelt sich Aladdin vom sympathischen und einfachen Jungen zu einem unzuverlässigen Egoisten, der mit seiner neuen Art kurzzeitig alle verprellt, bevor er wieder zu sich selbst zurückfindet. Im Musical ist eine solche Botschaft nicht enthalten, denn Aladdin wirkt erst gar nicht wie ein gutherziger Junge, sondern wie vom Dschinni (leider) richtig benannt, als aufreißender „Mister Ich-brauch-kein-Hemd-ich-hab-ein-Sixpack“.

Sprachlich enttäuscht mich das Musical auf ganzer Linie. Originalzitate daraus sind unter anderem: „So’n Dreck!“, „Ich katzbuckel ja schon wieder!“, „Danke, gruselige Navi-Stimme“, „Das ist voll das edle Teil!“, „Die Bude kriegt ’nen fetten Facebook-Like von mir!“ und „Das Teil ist geil!“. Das Publikum war größtenteils amüsiert – ich kann nicht nachvollziehen, wieso. Vielleicht kennen sie den Film nicht. Vielleicht denken sie, dass sie für das Geld, das sie gezahlt haben, lachen müssen. Vielleicht sinkt der Humor der Gesellschaft aber auch einfach. Der Dschinni zieht darüber her, wie sich Frauen auch immer über alles aufregen: abgebrochene Fingernägel, kaputte Frisuren und „hingerichtete Lover“. Es wird von Cross Fit gesprochen, vom „erstbesten Erkan“, den Jasmin nicht heiraten will, von Brainstorming und davon, dass man bei freier Männerwahl seitens der Prinzessin ja gleich eine Bundeskanzlerin einführen könne.

In London wird das Aladdin-Musical im Prince Edward Theatre gespielt.

In London wird das Aladdin-Musical im Prince Edward Theatre gespielt.

Glückliche Ehen seien laut Dschinni ein Hirngespinst und Aladdins Freunde wollen mit ihm gemeinsam eine Tanznummer zum Geldverdienen auf dem Markt aufführen, bei denen sie die Frauen auf dem Markt mit dem Hinweis auf „eine heiße Nummer“ zum Zusehen und Bezahlen animieren wollen. In diesem Kontext wird das Publikum indirekt angesprochen, indem gefragt wird, wer so dumm wäre dafür zu zahlen, um jemanden singen und tanzen zu sehen. Alle lachen. Über sich selbst? Unterschichtenhumor. Ballermann-Humor? Diese Wörter hämmern in meinem Kopf, wenn ich mich nicht gerade frage, wieso ich eigentlich noch nicht selbst Hape Kerkeling oder in diesem Fall den Dschinni mit „Ich bin dann mal weg“ zitiert habe und gegangen bin. Musik wird „geschrammelt“, „die Gang schlägt keiner“, der Dschinni wird, sobald er über Mode redet, zur absoluten Tunte (was gefühlt für die meisten Lacher der im Theater anwesenden und sicher sehr toleranten Gesellschaft sorgt). Stigmatisierung? Wächter werden „kalt“ gemacht und Aladdin mutiert zur „Gassenratte“. Teilweise starre ich mit offenem Mund auf die Bühne, während sich die anderen vor Lachen kaum halten können. Zweimal lache ich vor Verzweiflung.

Prinz Ali Ababwa, so der Filmname, wird plötzlich und für mich wirklich vollkommen unverständlich zu Prinz Ali von Ababwa. Ich verstehe es nicht. Es gefällt mir auch nicht. Ich verstehe nicht, wieso man einen so gut bewerteten und beliebten Disney-Klassiker so massiv abwandelt und jene Elemente aufnimmt, gegen die sich für die Filmversion aktiv entschieden wurde. Es gibt keinen Tiger in Jasmins Leben – stattdessen drei Klatschweiber. Die drei Freunde um Aladdin senken das Niveau außerdem. Auch Dschaffars Papagei Jago existiert nicht. Stattdessen begleitet ihn ein kleiner Narr dem er irgendwann sagt, dass er sich einen Papagei kaufen würde, würde er einen wollen. Die Tanzszenen erinnern mich optisch abwechselnd an die Showgirls aus Las Vegas beziehungsweise von Elvis-Events oder sogar im Falle des Prinz-Ali-Liedes an die Pferderennen-Szene aus dem Film „My fair Lady“. Was im Film knallig bunt und spaßig ist, ist hier eher in schwarz und weiß gehalten. In einer Szene fühlt man sich wie in der TV-Gameshow „Let’s Make a Deal“, im Deutschen früher als „Geh auf’s Ganze“ mit Jörg Dräger zu sehen. Es gibt drei Tore mit Gewinnen, unter anderem einer Reise nach Mallorca. Ballermann-Humor? Treffsicher! Alle lachen. Kein Zonk, wie ich kurzzeitig befürchtete. Ich weiß nicht, was besser gewesen wäre. Dafür bietet der Dschinni ein Medley aus Disney-Liedern anderer Filme. Wieso? Keiner weiß das – aber alle lachen, als gäbe es kein Morgen mehr.

Ein Aladdin Merchandise-Stand in der Neuen Flora in Hamburg.

Ein Aladdin Merchandise-Stand in der Neuen Flora in Hamburg.

Optisch haben mich die Bühnenaufbauten nicht wirklich überzeugt – mit Ausnahme der Szene mit dem fliegenden Teppich, die auch in der internationalen Presse oft als „magisch“ bezeichnet wird. Trotz abgewandeltem Text des Liedes „Ein Traum wird wahr“ („A Whole New World“), war diese Szene wirklich herausragend gut! Ansonsten fand ich die Wunderhöhle von außen und von innen ziemlich gut umgesetzt. Den Rest empfand ich aber nicht wirklich würdig für eine Disney-Produktion, die auch am Broadway aufgeführt wird. Es gab zudem viele nicht synchrone Bewegungsabläufe, viele Versprecher und nicht synchron zur Musik umgesetzten visuellen Effekte. Dafür, dass es nicht die erste von vier Vorpremieren war, fand ich das alles doch recht enttäuschend.

Marilyn Stasio rezensierte das Musical für das Magazin Variety und zog das Fazit, dass Howard Ashmans herausragende Fähigkeit, die Texte für die Filmversion zu Aladdin zu schreiben, in dem Musical keinesfalls gewürdigt oder respektiert wurde und ihm dieses Stück somit keinerlei Tribut zolle. Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Ich habe mich nicht in eine andere Welt versetzt gefühlt, keinerlei (positive) Emotionen gegenüber den Charakteren aufbauen können und hätte mir den Besuch lieber gespart. Aladdin ist unfassbar unsympathisch, seine Freunde noch viel mehr. Jasmin ist mehr langweilig, als rebellisch, ihren Vater, den Sultan, habe ich so gut wie nicht wahrgenommen. Dschaffar macht keinerlei Eindruck, Jago wäre sicher ein guter Papagei gewesen und der so viel gelobte Dschinni erfreut aus meiner Sicht nur die Herzen aller Ballermann-Liebhaber … Die Filmstory wurde massiv abgewandelt, sodass beispielsweise eine Schlacht zwischen Aladdins Freunden und den Wachen des Palasts stattfindet und die lange Schlussszene des Films, in der Dschaffar schließlich zum „allmächtigen Dschinni“ wird, ist plötzlich in wenigen Minuten und vollkommen unbeeindruckend abgehandelt. Es wirkt fast, als wären Geld und Zeit knapp geworden, sodass nach einem überlangen ersten Akt und einem ebenfalls zähen zweiten Akt alles schnell zu Ende gebracht werden müsste.

Aladdins Wunderlampe vor dem Aladdin-Musical-Theater in London-

Aladdins Wunderlampe vor dem Aladdin-Musical-Theater in London

Fazit für Gestresste: Wer den Film nicht kennt und sich mit moderner Sprache anfreunden kann, dem wird das Musical vermutlich gefallen. Das ist sicherlich vergleichbar mit unfassbar modernen Theaterversionen von Shakespeares Werken – auch die gefallen mir überwiegend nicht. Wer den Film kennt, aber lieber auch mal die ursprünglichste und filmisch nicht umgesetzte Disney-Version erleben möchte, sollte das Musical ebenfalls sehen. Wer aber den Film liebt und wie bei „Die Schöne und das Biest“ oder „König der Löwen“ auf eine klassische Umsetzung des Films hofft, der sollte sich einen gemütlichen Filmeabend auf der Couch machen und niemals in Erwägung ziehen, das Musical zu besuchen. Ich hätte es definitiv lieber nicht gesehen und wäre stattdessen besser in London zweimal in „Book of Mormon“ gegangen …

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Es sind 7 Kommentare vorhanden Kommentieren

  1. Oliver /

    Danke Claire für den Erfahrunfsbericht. Schon seit ich gehört habe das Aladdin ein Musical wird habe ich mich tierisch gefreut. Da ich den Film verehre und noch vor König der Löwen und Mulan von Disney setzte (meine Top 3) werde ich mir das Musical, dank dir, nicht zu Gemüte führen. Ich denke es reicht wenn einer diese Erfahrung macht, deiner Begleitung ging es ja wohl ähnlich. Alles worauf ich gefreut hättr wurde anscheinend gegen Ballermanhumor und neuartige Interpretationsweisen „basierend“ auf der möglichen Disney Version aufgebaut. Da verzichte ich lieber. Würde mir sonst wahrscheinlich wie dir gehen. Da ich noch nie vom die Schöne und das Biest Musical gehört habe, hat sich dein Bericht gleich zweifach gelohnt. Hast du dazu auch etwas verfasst? Falls ja würde ich es gerne lesen, deine Schreibweise ist sehr angenehm. Alles Liebe, Oliver

    1. Claire / Post Author

      Hallo Oliver,

      vielen Dank für Deinen Kommentar! Tatsächlich kann ich Deine Entscheidung nachvollziehen. Hätte ich mich vorher über das Musical informiert, hätte ich es definitiv nicht sehen wollen.

      Die Schöne und das Biest habe ich am Broadway und in einer 45-minütigen Kurzfassung auch in Walt Disney World Orlando gesehen. Beide Shows waren absolut fantastisch und entsprechen auch dem Film. Einen Artikel dazu habe ich leider (noch) nicht verfasst, aber ich kann Dir das Musical wirklich nur ans Herz legen. Ich weiß natürlich nicht, wie es in deutscher Sprache ist, aber auf Englisch ist es fantastisch! Sollte ich dazu einen extra Artikel verfassen, kann ich Dich gerne per Mail darüber informieren, wenn Du das magst.

      Alles Liebe,
      Claire

  2. Antje /

    Ich liebe Aladin….wir sind in grosser Vorfreude zu einem Disney-Musical gefahren und wurden bitter enttäuscht .-(

  3. Janina /

    Wir haben das Musical gestern gesehen und ich fand es zwar nicht total enttäuschend aber ich fand es auch nicht wirklich gut. Im Gegensatz zu Tarzan oder König der Löwen werde ich mir Aladin keines Falls ein zweites Mal anschauen.
    Mit Ausnahme der Höhle der Wunder und des Fliegenden Teppichs fand ich die Bühnendekoration eher langweilig. Für mich absolut nicht erträglich war die neumoderne Sprache. Ein Teil der Magie wird für mich zerstört wenn ich “ Das Teil ist geil “ höre oder das Bild einer Waschmaschine sehe oder etwas über Facebook Likes und gruseliger Navi-Stimme höre.

    Ich bin kein großer Fan des Disney Filmes aber das Musical ist wirklich nicht besonders wunderbar. Da hatte ich mir mehr erhofft.

  4. Cordula /

    Hätten wir nur vorher diesen ausführlichen Kommentar gelesen! Wir hätten uns eine riesengroße Enttäuschung und einen Batzen Geld erspart. Wir können jedes einzelne Wort des Erfahrungsberichtes unterstreichen!!!

  5. Maria S. /

    Ich war auch im Musical und habe leider auch danach erst deinen Bericht gelesen. Ich würde ihn Wort für Wort unterschreiben, es war eine absolute Katastrophe. Zu Hause angekommen habe ich mir sofort den Film angesehen und hoffe, die Musicalfassung schnell wieder zu vergessen. So schade!!!

  6. Erwyn /

    lieber ‚Hush!‘ sehen…. tut mir so leid Claire!

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